Engagieren, damit sich was ändert.

Ein Kommentar von Susann Budras, Stellvertretende Vorsitzende der SPD Karow-Buch

Wenn ich heute darüber nachdenke, was mich als Kind und Jugendliche politisierte und schlussendlich zum Eintritt in die SPD bewogen hat, fallen mir zuallererst meine Familie und die Lehrerinnen und Lehrer auf der Insel Usedom ein. Oberster Leitsatz für die Schülerinnen und Schüler war es immer, Höchstleistungen anzustreben und dabei anderen zu helfen. Füreinander Sorge tragen und das Miteinander, statt das Ich in den Vordergrund zu stellen, waren und sind auch heute für mich Werte, die mein Handeln und Denken prägen. Aufgewachsen bin ich in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt und habe nicht nur durch Familien und Nachbarn, sondern auch mit eigenen Augen gesehen, was der Verlust des Glaubens an ein Wertesystem und eine Gesellschaftsordnung mit den Menschen macht. Und damit meine ich nicht nur den sogenannten real existierenden Sozialismus, sondern auch die Enttäuschung über das Ausbleiben der blühenden Landschaften nach 1990. Vielen Menschen wurde das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten genommen. Massenhafter Jobverlust, das Abwandern der jungen Menschen in die großen Städte der neuen Bundesländer und eine zunehmend verfallende Infrastruktur haben die Menschen um mich herum, und damit auch mich als Kind und Jugendliche, geprägt.

So wundert es nicht, dass das Vertrauen in „die Politik“ spürbar schwand und Misstrauen vorherrschte. Denke ich zurück an die Geschichten am Küchentisch, fallen mir vor allem zwei Namen ein: „Mutter Courage“ Regine Hildebrandt und Gregor Gysi. Beide zeichnet aus, dass sie sich immer für die Schwächsten eingesetzt haben und niemandem nach dem Mund redeten, sondern auch mal frei Schnauze geredet haben. Regine war einer der Sozialdemokratinnen, die das Herz auf der Zunge trugen. Das war und ist auch heute nicht immer das, was man von Politikern erwartet. Auf der einen Seite will man anzugtragende Politiker, auf der anderen Seite ertönen Rufe nach Politikerinnen, die klar sagen, was ist. Und Regine fand deutliche Worte, die allen solidarisch denkenden Menschen, ob nun bei SPD, Linkspartei oder Grünen, in wenigen Worten ihre Gemeinsamkeit zeigt: „Ein Alltag ohne soziale Demütigung – das ist das Grundrecht aller, ausnahmslos.“

Doch was kann man sich genau unter sozialer Demütigung vorstellen? Ich denke hier an Eltern, die das Geld für die Klassenfahrt der Kinder nicht aufbringen können, aber Angst vor Bloßstellung haben und deren Kinder sich daraufhin am Tag der Klassenfahrt krank melden. Ich denke hier an Frauen, die häufiger als Männer unter Altersarmut leiden, nachdem sie ihr ganzes Leben lang für Familien gesorgt und geschuftet haben. Ich denke hier an all jene, deren Arbeitslohn nicht zu einem erfüllten Leben reicht und die nicht auf das soziale Sicherungsnetz zurückgreifen können und sich bloßgestellt und erniedrigt fühlen. Und natürlich denke ich auch an all jene, denen die Würde von Menschen wie Thilo Sarrazin genommen wird, wenn er vorrechnet, dass ein nahrhafter Speiseplan mit dem Hartz-IV-Tagessatz von rund vier Euro pro Tag kein Problem ist. Was Regine vor vielen Jahren sagte, gilt heute mehr denn je. Demütigung darf in unserer Gesellschaft keinen Platz finden.

Ich will dazu beitragen, dass die Vision von Regine sich erfüllt. Das fängt bei meinen Nachbarinnen und Nachbarn in Karow und Buch an und endet noch lange nicht bei dem Versuch, eine Große Koalition zu verhindern, um den Markenkern der Sozialdemokratie nicht dem Ausverkauf darzubieten. Ich sehe das so: unser sozialdemokratischer Ortsverein ist die erste und beste Anlaufstelle für die Einwohnerinnen und Einwohner in unserem schönen Kiez, wenn sie Wünsche, Fragen und Nöte haben. Selbstverständlich reden wir auch über Europa, Energiepolitik und die großen politischen Linien, diskutieren darüber, was besser werden muss, wo dringend Änderungen hermüssen. Aber diese Fragen lassen sich nicht vom Elfenbeinturm aus diskutieren. Sozialdemokratie beginnt dort, wo wir jeden Tag die Straßen entlang laufen, einkaufen gehen, im Sportverein aktiv sind und uns im Jugend- oder Freizeitzentrum engagieren.

Dieser Kommentar ist ursprünglich in der Januar, Februar, März-Ausgabe der Kiezstimme der SPD Karow-Buch erschienen.