Solidarisches Grundeinkommen
Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!
Robert Drewnicki, Referatsleiter in der Berliner Senatskanzlei für Politische Grundsatzangelegenheiten und Strategien für Berlin, war zu Gast auf unserer Abteilungsversammlung am 15. Mai 2018. Dort stellte er das Konzept des Solidarischen Grundeinkommens von Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller vor.
„Solidarität bedeutet wechselseitige Verbundenheit, Zusammengehörigkeit und Hilfe. Sie ist die Bereitschaft der Menschen, füreinander einzustehen und sich gegenseitig zu helfen. Sie gilt zwischen Starken und Schwachen, zwischen Generationen, zwischen den Völkern. Solidarität schafft Macht zur Veränderung, das ist die Erfahrung der Arbeiterbewegung. Solidarität ist eine starke Kraft, die unsere Gesellschaft zusammenhält – in spontaner und individueller Hilfsbereitschaft, mit gemeinsamen Regeln und Organisationen, im Sozialstaat als politisch verbürgter und organisierter Solidarität.“ – Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der SPD
Digitalisierung, Globalisierung – das sind Schlagworte, die wir täglich in den Nachrichten hören. Sie klingen irgendwie bedrohlich, lassen sich aber nicht so richtig fassen. Gleichzeitig lesen wir vom Wirtschaftsaufschwung, Rekord-Beschäftigungszahlen, immer weniger Arbeitslosen. Ist denn alles nur Angstmache? Jein. Fakt ist, dass die Digitalisierung den Beschäftigten eine andere Form von Kompetenzen abfordern wird, als bisher. Vielen macht das Angst. Was mit älteren Beschäftigten passiert, oder Menschen, die in Fabriken Autos zusammensetzen oder auch mit dem Verkäufer von nebenan, der von einer Selbstzahlerkasse ersetzt wird, können wir nur vermuten. Die Antwort in der langen Frist muss lauten: Qualifizierung und Weiterbildung, lebenslanges Lernen. Die Sozialdemokratie muss hier Konzepte liefern, wie wir nicht erst in zehn Jahren, sondern sofort damit anfangen können. Der Vorschlag der Parteivorsitzenden Andrea Nahles zur Einrichtung eines Erwerbstätigenkontos mit 20.000 für Weiterbildung, Sabbatical oder Ehrenamt geht hier schon in die richtige Richtung.
Wie aber mit den kurzfristigen Folgen umgehen? Michael Müller hat einen simplen, aber doch weitreichenden Vorschlag gemacht: Das solidarische Grundeinkommen .
Kern des Konzeptes ist der solidarische Umgang mit Menschen, die bisher über längere Zeit von der Arbeitswelt ausgeschlossen wurden. Langzeitarbeitslosen und Menschen, die kurz davor sind, in den Hartz-IV-Bezug zu rutschen, soll durch das Land ein Beschäftigungsangebot unterbreitet werden. Die Beschäftigung erfolgt auf freiwilliger Basis, kann also auch ohne Sanktionsfolgen abgelehnt werden. Sie weist jedoch neben der Teilhabe an der Arbeitswelt weitere schlagende Vorteile auf: Stellen, die zudem nur durch die öffentliche Hand angeboten werden (also nicht bei privaten Trägern) sind sozialversicherungspflichtig, unbefristet und werden mindestens mit dem Mindestlohn vergütet. Dieser liegt übrigens in Berlin höher als im Bund (Berlin: 9€, Bund: 8,84€). Das solidarische Grundeinkommen bietet also eine reale Perspektive, um gesellschaftlich anerkannte und sinnvolle Arbeit zu leisten und gleichzeitig für das Alter vorzusorgen – ohne Angst vor einem Maßnahmenende. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat das Projekt durchgerechnet und kommt zu dem Schluss, dass die Mehrkosten des solidarischen Grundeinkommens für Berlin und Deutschland stemmbar sind.
Ich finde, wir müssen hier nicht primär über die Verdrängung von „regulärer Beschäftigung“ (gemeint ist die Lohnarbeit auf dem privaten Arbeitsmarkt) reden, sondern auch über diese Fragen:
- Wie halten wir es mit gesellschaftlicher Solidarität in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels?
- Welche Rolle sollte der Staat spielen?
- Ist nur der private Arbeitsmarkt ein guter Arbeitsmarkt?
Die Haltung, dass die Privatwirtschaft per se besser sei, als die öffentliche Hand, ist sachlich unbegründet und wohl vor allem auf die herrschende Ideologie zurückzuführen. Wenn die Privatwirtschaft Arbeitskräfte will, muss sie künftig eben mehr als bisher bieten. Bisher bedeutet ein Job dort vor allem den Ausweg aus der Sanktionsspirale – also den faktischen Arbeitszwang im Hartz-IV-System, der durch Sanktionen bei Nicht-Annahme von angebotener Arbeit entsteht. Für mich war und ist das der eigentliche Skandal an Hartz IV, an Fördern und Fordern. Ein Existenzminimum darf nie verhandelbar sein. Wenn Hartz IV dieses spiegelt, sind Sanktionen unmenschlich.
Wer günstige Arbeitskräfte will, muss Anreize bieten, die wiederum die des Landes Berlin übertreffen. Wer günstige Arbeitskräfte will, muss sein Geschäftsmodell anpassen. Wer sich ebenfalls mit Händen und Füßen gegen das solidarische Grundeinkommen wehrt, liegt auf der Hand: die bisherigen Maßnahmenträger und die Unternehmen, die nur augrund von Dumping-Löhnen konkurrieren können. Sie sind die großen Profiteure der Arbeitsmaßnahmen, die Langzeitarbeitslose annehmen müssen, um aufgrund von Sanktionen nicht massiv unter das Existenzminimum zu fallen.
Nimmt man eine Kosten-Nutzen-Einschätzung vor, muss man als Sozialdemokratin nicht lange abwägen. Die SPD ist eine Arbeiter*innenpartei, sie ist die Partei, die für die Rechte derjenigen streitet, die vom Kapital ausgebeutet oder ausgeschlossen werden.
Schlussendlich ist es doch so, wie der große Bert Brecht es beschrieben hat:
„Wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt ja nur sich selbst im Stich.“ Solidaritätslied, 1932