Pflege im Notstand – Applaus allein reicht nicht mehr

Um 7 Uhr lege ich die Schutzkleidung ab. 9,5 Stunden Nachtdienst liegen hinter mir und die nächste Nacht wartet bereits. Noch immer glauben viele Menschen hinter meiner Tätigkeit stecke vor allem das Waschen alter Menschen, doch unzutreffender könnte man den Pflegeberuf insbesondere auf einer Intensivstation, auf der beispielsweise Beatmungs- oder Dialysegeräte bedient werden müssen, nicht beschreiben.

Corona stellt uns Pflegekräfte vor extreme psychische und körperliche Belastungen. Aber nicht nur die Krankheit selbst, vor allem der eklatante Personalmangel führt dazu, dass Pflegerinnen und Pfleger immer wieder an ihr Limit gehen müssen, Stationen unterbesetzt sind, Pausen ausfallen. Noch funktioniert das System, aber nur weil viele Pflegekräfte mehr arbeiten, als sie müssten und dabei ihre eigene, letztlich aber auch die Gesundheit der Patientinnen und Patienten, aufs Spiel setzen. Immer wieder nehme ich wahr, dass meine Kolleginnen und Kollegen das Gefühl haben, verheizt zu werden. Viele Pflegekräfte wurden bei den Bonuszahlungen nicht berücksichtigt, der Frust wächst.

Eine großzügige Corona-Prämie für alle Pflegekräfte muss daher schnellstmöglich kommen. Wer Fluggesellschaften retten kann und auch Bundestagsmitarbeitenden einen Bonus zuspricht, kann auch Pflegekräften eine Prämie zahlen. „Klotzen, nicht Kleckern“ muss hier das Motto sein. Denn Applaus allein reicht nicht, um die Missstände in der Pflege zu beenden.

Der neueste Tarifabschluss im öffentlichen Dienst ist ein erster Schritt und auch die Bemühungen der Bundesregierung um einen flächendeckenden Tarifvertrag in der Altenpflege gehen in die richtige Richtung. Bei der Komplexität des Pflegeberufs und Verantwortung für Menschenleben, muss man aber zu dem Schluss kommen, dass Pflegekräfte mehr verdienen sollten als reguläre Sachbearbeiterinnen und -bearbeiter in der öffentlichen Verwaltung. Um den Pflegeberuf insgesamt wieder attraktiver zu machen, brauchen wir daher ein Grundgehalt von mindestens 4.000€, aber auch einen grundlegenden Wandel unseres Gesundheitssystems.

Nach 10 Jahren CDU und FDP im Bundesgesundheitsministerium ist einfach zu wenig für die Pflege passiert. Die von der SPD geforderte Bürgerversicherung und die Abkehr vom Prinzip der ewigen Profitmaximierung in der Pflege wären Eckpfeiler für ein „gesundes“ Gesundheitssystem.

Von Sophie Drathschmidt, Intensivkrankenpflegerin am Virchow-Klinikum der Charité Berlin

Dieser Kommentar ist ursprünglich in der Januar & Februar-Ausgabe der Kiezstimme der SPD Karow-Buch erschienen.