Schweigen, Ahnungslosigkeit, Verleugnen — Zum Umgang mit kriminellen Clans in Berlin

Ein Kommentar von Tom Schreiber, Köpeniker Abgeordneter und Sprecher für Verfassungsschutz und Queerpolitik der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin

Wie viele organisierte kriminelle Clans zählt die Berliner Polizei in Berlin und wo liegen deren regionale Schwerpunkte? Wie viele Intensivtäter lassen sich zu den Clans zählen? Gibt es Ermittlungen aufgrund vermuteter extremistischer Hintergründe im Bereich „arabischer Familien“? Waren Mitglieder von Clans an Raubüberfällen, etwa beim KaDeWe oder im Hyatt, beteiligt?

Diese und viele weitere Fragen habe ich an die Innenverwaltung seit dem Sommer 2015 gestellt, um das Problem von mafiösen Clanstrukturen in Berlin näher zu beleuchten und greifbarer zu machen. Wie hat die Berliner Polizei und die Innenverwaltung darauf geantwortet? Mit gähnender Leere. Auf all die hier aufgeführten Fragen gab es nur eine Antwort: Der Begriff ‚kriminelle Clans’ sei für die Polizei Berlin nicht relevant und unterliege keiner verbindlichen Definition. Er sage aus polizeilicher Sicht weder etwas zur Rolle noch zum Status von Personen aus und auch nicht zur Größe oder Struktur einer Familie oder zum jeweiligen Verwandtschaftsverhältnis. Bei der Polizei Berlin erfolge daher keine statistische Erfassung der Familienzugehörigkeit von Straftätern. Als ich fragte, welchen Begriff die Polizei nun anstelle von „kriminellen Clans“ verwende wurde mir mit genau der gleichen Aussage geantwortet (Drs. 17 / 16802).

In diesem Zusammenhang irritierte mich noch viel mehr, dass der oberste Dienstherr des Inneren und damit auch über der Polizei stehende Innensenator den genannten Begriff seit langem selbst nutzt. Für ihn wird dieser wohl sehr relevant sein, da er am 12. August 2013 in der B.Z. wie folgt zitiert wird: „Es ist aber nicht so, dass wir bei den kriminellen Großclans tatenlos zusehen” und „Mit dem, was wir haben, werden wir in der Lage sein, diese Clans mit der gleichen Härte zu bekämpfen – mit allem, was das Gesetz erlaubt“. Abgesehen davon, dass ich den letzten Satz stark anzweifle, ist mir vollkommen unbegreiflich, wie der Senator scheinbar ein Problem erfasst hat, aber weder seine Verwaltung noch die Berliner Polizei etwas davon wissen wollen. Mir geht es dabei nicht um die Verwendung von Begrifflichkeiten sondern um die Anerkennung eines Problems, welches unsere Stadt sehr verunsichert und einen Kriminalitätsschwerpunkt seit mindestens über 20 Jahren bildet. Es geht um dabei um einen Kampf für unseren Rechtstaat und für das, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält.

Meine These ist seitdem, dass unser Rechtsstaat mehr und mehr erodiert. Leider sehe ich mich durch viele Gespräche, Hospitationen und Hinweise bestätigt.

Im genannten Artikel benennt der Senator neben seiner großen Kampfansage einige Bereiche, in denen er ansetzen möchte, um „dieses Problem bei der Wurzel [zu] packen.“ Da seit dieser Aussage mittlerweile zweieinhalb Jahre vergangen sind, fragte ich also nach konkreten Ergebnissen. Antwort: In der Innenverwaltung wurde eine Projektstudie durchgeführt, die jedoch Verschlusssache ist. Außerdem sei beim Landeskriminalamt ein Kommissariat zur Untersuchung von arabischstämmigen Tätern gebildet worden. In der Justizverwaltung fänden darüber hinaus wöchentliche Abstimmungen aller Abteilungen für Organisierte Kriminalität statt. Im o.g. Artikel wurden zusätzlich gemeinsame Maßnahmen der Gewerbeaufsicht, der Ausländerbehörde und der Steuerfahndung angekündigt – doch auch hier: Fehlanzeige. Keine Behörde fühlt sich zuständig. Dazu passt, dass es seit 2011 „immer wieder auch zur Auffindung und Sicherstellung von Waffen“ kam (Drs. 17 / 16282), aber nicht gesagt werden kann, in welchem Umfang dies geschah. Dazu passen auch die bisherigen Ergebnisse bezüglich sichergestellten Vermögens, welches illegal im Bereich der Organisierten Kriminalität erworben wurde. In den letzten drei Jahren immerhin durchschnittlich knapp über eine Million Euro. In Anbetracht der Summen, die in diesem Bereich vermutet werden, ist dies eher ein Klacks (Drs. 17 / 16815).

Die Antworten haben mich zum Teil stark schockiert. Entweder wird geschwiegen, das Problem verleugnet oder es besteht tatsächlich eine breite Ahnungslosigkeit bei der Innenverwaltung. Es ist schwer zu sagen, was davon am Schlimmsten ist. Der Polizeieinsatz gegen Clan-Verbindungen vom 12. April sollte Stärke demonstrieren. Es wird sich zeigen, ob dieser nachhaltig etwas gebracht hat. Bis dahin und auch danach werde ich weiter den Finger in die Wunde legen. Wir können als Gesellschaft sowie in der Politik wie auch in den Strafverfolgungsbehörden dem mafiösen Treiben der Clans nicht einfach zusehen.

Im Sommer forderte ich den Einsatz von Verdeckten Ermittlern in der Haft. Es ist kein Geheimnis, dass die Organisierte Kriminalität ihre Fäden in und aus der Haft hinaus führt. Wir brauchen alle rechtstaatlichen Instrumente, um Strukturen aufzudecken und gegen die Korruption in diesem Zusammenhang vorzugehen. Die Organisierte Kriminalität hat ein einfaches Prinzip: die Netzwerke sind vorhanden und werden zur Generierung von Geld unauffällig genutzt. All das, was stört, wird zur Seite geräumt. Das große parlamentarische und exekutive Desinteresse spielt der Organisierten Kriminalität in die Hände. Hier sage ich klar: ich werde das so nicht akzeptieren. Meine Wege und Mittel werde ich nutzen, damit der Rechtsstaat wieder ein Rückrad erhält.

Dieser Kommentar ist ursprünglich in einer gekürzten Fassung in der April, Mai, Juni-Ausgabe der Kiezstimme der SPD Karow-Buch erschienen.